Sehr geehrter Herr Rörig,
Ihre Benennung als unabhängiger Beauftragter und neueste wissenschaftliche Ergebnisse ermutigten mich noch einmal, mich zu dem Thema sexueller Gewalt zu äußern. www.beauftragter-missbrauch.de
Vor über einem Jahr folgten viele Opfer dem Aufruf „Sprechen Hilft“, die sich heute jedoch fragen, was hat es genützt? Die Regierung kennt nun einen Bruchteil einer langexistierenden doch genau solang verschwiegenen Gewalt, die Medien hatten ihre Schlagzeilen doch die Opfer selbst sind nach wie vor Menschen ohne Rechte.
Als Opfer mehrfacher sexueller Gewalt in der Kindheit und Jugend und meine Erfahrungen mit Gewaltopfern, stehe ich heute vor der Frage, ob die Regierung wirklich auf dem richtigen Weg zu einer Änderung oder Verbesserung ist.
Der Grund für meine Zweifel ist, dass eine zwei Generationen alte Geschichte von Gewalt noch immer unter Verdrängung und Verleugnung leidet und deshalb nicht aufgearbeitet wird. Die Schuldigen werden nicht zur Rechenschaft gezogen und dadurch werden Opfer nicht wirklich rehabilitiert und anerkannt.
So lange die Verjährungsfrist für sexuelle Gewalt besteht, gibt es kein Schuldbewusstsein in einer Gesellschaft. Nur eine volle Anerkennung im rechtlichen Sinne und im sozialen Gefüge kann zur Heilung zerstörter Identitäten führen und Tatwiederholung in der nächsten Generation verhindern. Dazu möchte ich:
Hätte damals, 1949, die neue Demokratie den GG Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ernst genommen, die exekutive Gewalt danach gehandelt, stünde man heute nicht vor einer Lawine sexuell Misshandelter, die oftmals irreparable(n) traumatische(n) Schäden zeigen.
Jede Gewalt verursacht langfristige psychische Schäden, zerstört Identitäten, vor allem die Würde eines Menschen, die angeblich gesetzlich geschützt ist. Wissenschaftliche Arbeiten dazu liegen vor.
Nicht nur, dass sich das Immunsystem durch sexuelle Gewalt verändert und teilweise zerstört wird, sondern messbare und permanente Veränderungen im Gehirn (auch Gen Veränderungen) wurden festgestellt. Kindheitsmisshandelte, gleich welche Gewalt dominierte, haben PTSD und deren Gehirne zeigen die gleichen Symptome,“ hyper-awarenes“ wie bei Soldaten im Fronteinsatz. www.ucl.ac.uk/news/news-articles/1112/111205-maltreated-children-fMRI-study
Jede Gesellschaft produziert ihre Täter selbst, indem sie Kinder mit Gewalt, Lieblosigkeit und Missachtung erziehen, die dann im Erwachsenenalter das erlernte Muster wieder ausleben.
Auf der sozialwissenschaftlichen Ebene wurde endlich die Erkenntnis gewonnen, dass Kindheitsmisshandelte oftmals zu sozialen Außenseitern werden. Wie oft stehen Kindheitsmisshandelte vor Gericht und der Richter fragt nur nach der Tat, nicht aber wie oder wodurch diese Straftat zustande kam.
Gewalt ist ein endloser Kreislauf, der nur durch Heilung der Opfer oder Bestrafung/Isolation und Benennung der Täter unterbrochen werden kann.
Der Runde Tisch Heimerziehung hat die unsägliche Vorlage zum Täter Arrangement erstellt, anstatt sich im vollen Umfang auf die Seite der Opfer zu stellen. Die Kollaboration mit den Kirchen, denen Mitbestimmung eingeräumt wurde, führte zu einer erneuten Ungerechtigkeit, die Opfer hilflos und wertlos macht. Die Opfer wurden mit dem darauf folgenden 120 Millionen Billig-Fonds abgespeist.
Nun wird erneute und erweiterte gezielte Schadensminderung betrieben, damit die wenigsten Opfer von diesem Fond profitieren. Dass dies der Fall sein wird, dafür sorgen fachlich unqualifizierte Personen, z. B. Herr Gorisson, der schon am RTH (Runder Tisch Heimerziehung) wenig Empathie für Opfer zeigte und deshalb mit kalter Berechnung für absolute Schadensminderung für Staat und Kirche sorgte und trotz nicht Kompetenz, heute bei der Verteilung von Leistungen noch einmal das sagen hat. Diese Verfahren scheinen auch Schule bei neuen Aufarbeitungen von sexueller Gewalt zu machen, wobei das Verjährungsgesetz noch einmal das Recht eines Opfers beschneidet.
Somit steht Deutschland als einziges „zivilisiertes“ Land im Mittelpunkt der Welt, das seine Opfer erneut missachtet und dadurch Täter schützt.
Gleichzeitig versagt das Sozialgesetz und macht Opfer erneut zu Opfern. Echte Hilfe wird verweigert, indem die psychischen Folgeschäden bei Frührenten nicht, oder nur schwerfällig, trotz des internationalen ICD 10 und DSM anerkannt werden. Eine völlige und ungerechte Ausgrenzung findet vor allem durch das OEG §10 Härteklausel* statt, – ein weiterer Beweis einer Opfer degradierenden Darstellung, wie Gesetze selektiert geschaffen und angewendet werden.
Opfern werden nur kognitive Therapien angeboten, die, wie das Wort selbst beschreibt, nur die Kognition ansprechen. Aber es ist nicht das kognitive Bewusstsein, in dem sich das Trauma verankert und deshalb auch nicht durch Reden alleine aufgelöst werden kann. Der Grund dafür; das implizierte Trauma belagert alle drei Gehirnlagen (Gehirnstamm, Limbic- System und den Neo-Cortex). Auch darüber gibt es Neuropsychologisch Wissenschaftliche Erkenntnisse.
Die zur Verfügung stehenden kognitiven Therapien sind Zeit und Geld Verschwendung, weil diese keine Heilung bewirken. Das Wort Therapie mag für unwissende an Angebot sein, ist und bleibt aber aus o. g. Gründen, ein Pseudoangebot. Damit ist keinem Opfer geholfen und kann deshalb zu keiner Gewalt- Prävention führen.
Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass das wirkliche Ausmaß von Gewalt noch immer nicht verstanden wurde.
Die ständigen Aussagen „wir tun ja etwas“ ist nichts anderes, als sich aus der überwältigenden Gewaltaffäre zu ziehen. Es wird zum Schein viel inszeniert, aber nur wenige opferorientierte Resultate geliefert, weil die weltweiten wissenschaftlichen Arbeiten nicht in Problemlösungen einbezogen werden.
Vielleicht ist die Zeit gekommen, zu verstehen, dass es immer ein ehemaliges Opfer ist, das neue Opfer erzeugt. Ein psychisch gesunder Mensch begeht keine Gewalttaten.
Mit meinem Brief an Sie Herr Röhrig, möchte ich eine Realität beschreiben, die mit einem Satz gesagt werden kann: „Solange keine Heilung stattfindet und keine rechtlich volle Anerkennung der Opfer gibt, wird es Täter geben und alle geplanten Zukunfts-Präventionen, eventuelle Opfer zu schützen, bleiben deshalb und unweigerlich wirkungslos“.
Solange sich die deutsche Regierung nicht im vollen Umfang zu ihren Opfern bekennt, betreibt diese Täterschutz und unterstützt damit Verletzungen der Menschenrechte.
Ich nehme an, dass mein Brief neue Opposition erweckt und ich als Opfer nur als Leidklagende betrachtet werde, doch ich kann so viel Unrecht nicht unausgesprochen lassen.
Mit freundlichen Grüßen,
Sieglinde Alexander