Sehr geehrter Herr Kuhnert,
auf Ihrer Webseite fand ich einen Artikel über das Buch „Schläge im Namen des Herrn“.
Nach jahrelangem Schweigen und Verleugnung der Tatsache von Menschenrechtsverletzungen, wird das Thema der Misshandelten auf breiter Ebene angesprochen, aber nur weil ein großer Verleger wie der Spiegel ein Buch darüber veröffentlichte. Ich darf ihnen versichern, dass die Misshandelten seit Jahren versuchen, sich gegen die Unmenschlichkeit der Vergangenheit zu wehren, aber von niemandem gehört wurden, und dass die Medien ihre Geschichten ablehnten. Lange schon vor dem Buch von Peter Wensierski wurden Bücher und Artikel zu diesem Thema ‚Misshandelte Heimkinder’ geschrieben, die aber von den Medien nicht unterstützt wurden. (Siehe Anlage).
Meine Frage an Sie ist, was wird die SPD tun um dieses Nachkriegsunrecht und die Schande für Deutschland wieder gut zu machen? Bislang hat sich nur der LWV zu diesem Thema öffentlich geäußert. Schändlicherweise schweigen Bayern und andere Bundesländer noch immer zu diesen vergangenen Menschenrechtsverletzungen.
Jugendliche arbeiteten in Heimen ohne Bezahlung und erhalten heute keine Rente dafür. Auf Grund dieser Kinderversklavung wurden jedoch die Träger der Anstalten zu einem reichen Imperium. Wird die Verjährungsfrist diesen Misshandlern erlauben sich heute wieder der Verantwortung auf Nachzahlung von Löhnen und Rentenanteile und ihrer damaligen gesetzeswidrigen Handlungen zu entziehen?
Die Frage, warum diese Kinder in ein Heim kamen und dadurch das Brandzeichen „Heimkinder“, „schwer Erziehbare“ oder sogar „Verbrecher“ erhielten, wurde bis heute nicht gestellt. Die Realität aber ist, dass unschuldige Kinder zu gesellschaftlichen Außenseitern gemacht wurden und anstatt Hilfe zu bekommen „Vom Feuer in die Hölle“ geschickt wurden. http://dieontogenetischeseite.de/VomFeuerindieHoelle.htm
Um diese unwürdige Vergangenheit genauer zu analysieren, sollte dort begonnen werden wo die Misshandlungen und Entwürdigungen begonnen haben, die heute noch teilweise verleugnet oder gerechtfertigt werden. Waren es nicht verwahrloste Eltern die verwahrloste Kinder produzierten? Hat das Gesetz diese hilflosen Kinder geschützt? NEIN – im Gegenteil. Wie die heutigen Beweise zeigen, haben die Gesetzesvertreter weitere Misshandlungen der Schutzbefohlenen direkt oder in direkt unterstützt.
Waren es nicht in erster Linie unfähige und/oder traumatisierte Eltern, die den Weg zu diesem Trauma verursachten, an dem die Betroffenen ein Leben lang zu tragen haben?
War es die Schwarze Pädagogik (Katherina Rutschky), die uneingeschränkt in Deutschland dominieren konnte, die ein Kind als Besitz deklarierte, anstatt es als eigenständiger wertvoller Mensch anzuerkennen? Siehe: ”Haunting Shadows from the Past” http://boxbook.com/haunting-shadows-from-the-past/
Was auch immer die Ursache war, es waren ungewollte, abgeschobene, unschuldige Kinder, für die weder die Eltern noch die Gesellschaft ein psychisch und sozial gesundes Fundament schaffen wollten, die aber heute das Stigma „sittlich Verwahrloste“, „Leistungsschwache“, „Arbeitsscheue“, „Asoziale“ tragen. Es waren hilflose und lernende Lebewesen, Schutzbefohlene, die es weder Eltern noch Erziehern wert waren, ihnen eine gesunde Zukunft zu sichern. Weil diese unschuldigen Kinder von Geburt an keinen Wert hatten, mussten sie außerhalb der Menschlichkeit leben. Einmal als gesellschaftliche Außenseitern abgestempelt, konnten sie benutzt und ausgenutzt werden. Die Rechtfertigungen für diese Misshandlungen waren: „Nichtsnutze“, „Sie sind lebensunwert“, „Sie müssen zu ihrem Lebensunterhalt beitragen“…. Und das alles unter den Augen eines neuen Nachkriegsgesetzes, das eine Demokratie und die Menschrechte als Gesetzesgrundlage hatte.
Diese abgestempelten, nichtsnutzigen, wertlosen Kinder und Jugendliche sind heute Erwachsene und tragen den Effekt des Traumas, das ihnen in frühster Kindheit zugefügt wurde. Die Tatsache, dass die Misshandelten auch nach Jahren noch mit dem leben müssen, dürfte Anlass genug sein, dass diese Menschrechtsverletzungen, in allen Details, keine Verjährung haben dürfen. Der Grund dafür ist, dass das Trauma noch heute in jedem einzelnen Betroffenen lebt.
Der Imprint der Kindheit von körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt und Erniedrigung ist in den meisten Misshandelten als Lebensleitfaden manifestiert. Depression (PTSD), die entweder durch Aggressionen oder unsoziales Verhalten sichtbar werden, sind eindeutige Folge von Misshandlungen, die diese verletzten Menschen gleichzeitig zu Außenseitern der Gesellschaft machen. Zugleich aber erwarten der Staat und die Gesellschaft, dass diese verletzten Menschen ihren Beitrag als gewinnbringendes Mitglied einer Gesellschaft liefern und keine Forderungen stellen. Auf der anderen Seite, war es nicht die Gesellschaft der 50-70er Jahre, die diese Menschen direkt oder indirekt – durch ihre Mithilfe oder Passivität – zu Misshandelten und heute teilweise „Gesellschaftsunfähigen“ machte, indem sie ihre Geschichten nicht hören wollte?
Das Resultat dieser Nachkriegsmenschenrechtsverletzungen ist heute in den traumatisierten Menschen sichtbar. Eine Generation von über 100 000 psychisch, körperlich und sexuell verstümmelten Menschen wurde zum großen Teil das Fundament des heutigen Staates. Diejenigen, denen die Würde in den Nachkriegsjahren genommen wurde, leben heute noch als psychologisch, körperlich, sexuell Geschädigte – als gesellschaftliche Außenseiter, weil sie nie wirkliche Hilfe erhalten haben. Die daraus resultierende Tragik ist, dass eine überwältigende Zahl ihr implementiertes Trauma, bewusst oder unbewusst, an ihre Kinder in Form von Misshandlungen weitergegeben haben und somit die Folgegeneration traumatisierte. Um diesen Kreislauf von Gewalt zu stoppen muss erst mal eine Heilung der Traumageschädigten im Fordergrund stehen.
Es gibt nur sehr wenige gute Traumatherapien, die in der Lage sind, Kindheitstraumatisierten zu helfen, und wenn, sind diese für die heute sozial Schwachen nicht erschwinglich. (Offener Brief an Psychologen, Therapeuten und Psychiater http://dieontogenetischeseite.de/OffenerBriefan.htm
Was sich die Regierung vor Augen halten sollte, sind die Fakten, dass die Traumazange (Dr. Helga Spranger) in den Kindheitsmisshandelten weiter lebt. In dem Artikel von Frau Dr. Spranger „Der Krieg steckt in vielen Seelen“ beschreiben sie und viele andere Psychoanalytiker deutlich die Folgeschäden.
Bislang hatten nur wenige Kindheitstraumatisierte eine Chance zu heilen. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass 90%, wenn auch nach außen hin nicht sichtbar, noch immer den Effekt von Misshandlungen in sich tragen. Und doch mussten diese verletzten Menschen weiter existieren. Die Misshandelten hatten keine Wahl, es blieb ihnen nichts anderes übrig als irgendwie weiterzuleben. Sie existierten in Angst, kämpften gegen die Traumaschatten der Vergangenheit und leben seit über dreißig Jahre am Rande der Gesellschaft, die sie zu dem gemacht hat, was sie heute sind. Manche aber konnten mit dieser Last nicht mehr leben. „ZUM ABSCHIED“ von NIKKO SCHOTT
Ich bitte im Namen aller Verletzten zu bedenken, dass es unschuldige Kinder waren, die diesen Anstalten anvertraut wurden, die – wie alle Kinder – Schutz und Zuneigung, Verständnis und einen sozialen Leitfaden brauchten, die jedoch statt dessen körperliche, psychologische und sexuelle Gewalt erleiden mussten. Ihre Identität wurde verändert. Ihr erwachsenes Leben wurde dadurch für immer geprägt.
Eine Entschuldigung und Bedauern alleine seitens der Regierung ist nicht genug. Der Anfang einer Aufarbeitung der schwarzen Schatten der deutschen Nachkriegsvergangenheit muss damit beginnen, dass Menschrechtsverletzungen niemals verjähren dürfen und eine Wiedergutmachung in vollem Umfang stattfinden muss.
Wenn die deutsche Regierung wirklich daran interessiert ist, die Menschenrechtsverletzungen in den Nachkriegsjahren aufzuarbeiten, muss ein unabhängiger Untersuchungsausschuss gebildet werden, der die rechtliche, wie auch die psychologische Seite dieser Unmenschlichkeit untersucht. Es darf keine Verharmlosung dieser grauenvollen Tatsachen mehr geben, und das 30-jährige Verjährungsgesetz darf nicht als Ausrede verwendet werden. Im Gegenteil, es ist Zeit zu fragen ob das Verjährungsgesetz dazu beiträgt, vergangene Menschrechtsverletzungen wieder unter den Teppich zu kehren.
Wenn man bedenkt, dass die Alliierten 1945 in Nürnberg die Verbrecher der Menschrechtsverletzungen aus der Nazizeit für die begangenen Verbrechen bestraften, stellt sich die Frage, warum Vergehen in ähnlicher Form danach weitergehen konnten.
Es bleibt also die Frage, welches dieser Nachkriegsgesetze erlaubte es so vielen Nichtqualifizierten, daß sie Kinder und Jugendliche misshandeln und als Nichtsnutzige, Wertlose abstempeln konnten – und sie für ihren Unterhalt arbeiten zu lassen?
Wenn die Verjährungsfrist erlaubt, dass das damals existierende Gesetz, dass jede Arbeit entlohnt werden muss, keine Gültigkeit mehr hat, kann dieses als Kinderversklavung ausgelegt werden, indem die Gewinnträger geschützt werden.
Wenn die Verjährungsfrist erlaubt, dass keine Rentenjahre und keine Lohnnachzahlung von den betreffenden Institutionen nachbezahlt werden müssen – dann schützt das Gesetz die Gesetzesbrecher weiter.
Wenn die „Trauma-Verursacher“ keine Entschädigung für das erlebte Trauma an die Betroffenen entrichten müssen, stellt sich die Rechtsprechung erneut auf die Seite der Misshandler.
Wenn die Regierung keinen Untersuchungsausschuss bildet, um diese Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, dem keine sichtbaren und befriedigenden Taten folgen, wird die Geschichte über die Misshandelten von einer Wiederentwürdigung und von weiteren Misshandlungen erzählen.
Wir brauchen keine leeren Worte oder Erinnerungsstätten, sondern ein demokratisches Denkmal der Gerechtigkeit und Menschlichkeit für alle die in den Nachkriegsjahren, in einem demokratischen Land misshandelt und entehrt wurden.
Mit freundlichen Grüßen,
Sieglinde Alexander