Sehr geehrte Frau Steinhauer-Varveris,
als erstes möchte ich mich für Ihren Brief herzlich bedanken.
Immer wieder bin ich entsetzt wie viele Menschen in therapeutische Rahmen gepresst werden und wie wenig „Experten“ das Wort Psyche verstehen.
Wenn selbst Sie, als Diplom Psychologin, diesem emotionslosen Hierarchiedenken zum Opfer gefallen sind, können sie sich vorstellen, wie viele ahnungslose Hilfesuchende in ihrem Schmerz in eine neue
(therapeutische) Abhängigkeit getrieben werden, indem sie entweder eine baldige Besserung zeigen (oder vortäuschen) müssen, um nicht in die Falle der Psychiatrie zu geraten und permanent mit Antidepressivas gefüttert zu werden.
Mein offener Brief an Therapeuten, Psychologen und Psychiater hat sehr viel Unruhe gestiftet, vor allem unter denen, die ihren logischen Approach als die Lösung zu einem emotionalen Trauma verkaufen wollen.
Aber ich habe auch gute Erfahrungen gemacht das einen Fortschritt in Richtung Menschlichkeit bestätigt. Die Universität von Ankara, Türkei, bat mich 2004 meinen offen Brief für Studienzwecke verwenden zu dürfen. Wenigstens wird dort die Psyche des Menschen mehr geachtet und damit die Identität des Einzelnen respektiert.
Schon nach kurzer Zeit im Psychologie Studium erkannte ich, daß weder die Freudsche Theorie noch die anderen Theorien, wie EMDR, weder mir noch denen helfen können, vor allem wenn der schier unerträgliche Schmerz des erlebten Kindheitstrauma Jahre später erwacht und den Alltag dominiert. Aus diesem Grund habe ich das Studium abgebrochen.
Seit 2002 versuche ich Therapeuten und Menschen die Empathie für die Folgeschäden von Kindheitsmisshandlungen zeigen, für Selbsthilfe Gruppen in Deutschland zu interessieren. Bisher ist mir dies nicht gelungen da dieses schon im Ansatz auf zwei verschiedenen Ebenen scheitert. Das erste Hindernis ist die große Selbsthilfebedürftigkeit, die nur den „Ich-Schmerz“ unter den Betroffenen zulässt und somit wenig Gefühl für die Bedürfnisse Anderer aufbringen lässt. Der nächste Stolperstein ist der enge Rahmen der bürokratisch diktatorischen Psycho-Therapie.
Keiner der „Experten“ ist bereit einige Stunden in der Woche unentgeltlich eine Selbsthilfegruppe zu leiten in der Kindheitsmisshandelte die ersten Schritte machen können, dem Trauma der Vergangenheit eine Chance zu geben an die Oberfläche zu kommen und vor allem die implementierte Scham zu überwinden und somit sich der Möglichkeit einer Heilung zu nähern.
Solange Therapeuten Kindheitsmisshandelte zwingen „im Heute zu leben“ bleibt das frühkindliche Trauma dominant. Immer wieder wird der Beweis geliefert daß kognitive Therapie sinnlos ist, da es nur als Pain-Management angesehen werden kann, aber einer Heilung tiefer mentalen Wunden niemals effektiv helfen kann. Der Grund ist einfach; es ist nicht die Logik (linke hemisphare) die schmerzt, sondern die emotionale, die rechte Seite des Gehirns. Selbst wissenschaftliche Erkenntnisse, daß frühkindliches Trauma zu Veränderungen im Gehirn führen können, hilft dem Trauma Implizierten nicht.
Den einzigen Ausweg den ich im Moment für die Kindheitsmisshandelten sehe, die kein Vertrauen zu Therapeuten haben, ist das Schreiben der Kindheitserlebnisse. Ich selbst habe vor fünfzehn Jahren diesen Weg gewählt und viele, mit denen ich Kontakt habe, finden im Schreiben ebenfalls einen Weg zu den verschütteten Erlebnissen, ohne erneut durch Theorien traumatisiert zu werden.
Liebe Frau Steinhauer-Varveris, darf ich sie ermuntern über Ihre Therapieerfahrungen zu schreiben und ihre Meinung zu den limitierten Therapiemethoden und fehlender Ethik zu äußern.
Mit freundlichen Grüßen