Sehr geehrte Frau Behm,
Auf Anraten von Frau von Halem wende ich mich mit meinem Anliegen Erwachsner misshandelt als Kinder an Sie in der Hoffung, dass das Vergehen dieser generationsalten Misshandlungen Ihre Unterstützung in der Aufarbeitung im Bundestag findet.
Mein Anliegen bezieht sich vorerst einmal in der Hauptsache auf die Anhörung von 9 Heimkindern am 11. Dezember 2006 im Petitionsausschuss.
Dass diese Anhörung überhaupt stattgefunden hat erscheint für Nicht- Involvierte erst mal als Forschritt.
Ich dagegen sehe diese Misshandlungen es als ein jahrzehntelanges Versäumnis der Menschenrechte, die eine vorläufige und begrenzte Aufmerksamkeit findet.
Die Geschichten der 9 selektierten Betroffenen widerspiegeln in keinem Fall das breitflächige Misshandlungsthema der jüngsten Nachkriegsgeschichte Deutschland.
Ich darf Ihnen versichern, dass die Aussagen der neun Eingeladenen keine Repräsentation für alle sind, die heute unter PTBS leiden, die am Rande der Gesellschaft und von weniger als dem Existenzminimum leben müssen. Es ist nicht möglich, das volle Ausmaß sozialer Zerstörung und die daraus folgenden Konsequenzen in ein paar Stunden zu erfassen oder darzustellen, hierzu bräuchten sogar Psycho- und Sozialhistoriker Jahre. Diese Tatsache erhebt noch einmal die Frage: Was wissen die Ministerien wirklich von den Bedürfnissen der Betroffenen? Kennen die Ministerienmitglieder das volle Ausmaß der begangenen Misshandlungen samt aller lebenslänglichen psychischen Konsequenzen?
Nun, aber sollen die verschiedenen Ministerien und die Mitglieder des Petitionsausschusses nach dem Auftritt von nur neun erzählten Geschichten über die restlichen 500 000 Misshandelten eine objektive Stellungnahme vorlegen.
Gleichzeitig hört man aus verschiedenen politischen Fraktionen den defensiven Ton „wir machen ja etwas, aber es wird noch dauern“. Meine Frage ist, warum müssen diese Misshandelte auf ihr Recht warten das schon Grundgesetz seit 1949 existiert und sagt „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Trotz des neuen Grundgesetz ging die Verletzung der Menschenrechte auf allen Ebenen der Gesellschaft weiter weil sich das Hierarchie-Denken und die darin implizierte Gewalt in Deutschland nicht geändert hat. Das Schlagen von Kindern war ein selbstverständlicher Teil der Erziehung und sexuelle Übergriffe wurde als Privatangelegenheit der Familien abgetan, „man mischt sich nicht in Privatangelegenheiten“. All diese unmenschlichen Missahndlungen wurden über Jahrzehnte von Behörden direkt und indirekt unterstützt. Die Schwarze Pädagogik triumphierte in den Nachkriegsjahren auch in staatlichen und kirchlichen Heimen und der Tenor war‚ die wissen schon was sie machen. Kinder und Jugendliche in Heimen wie auch im Elternhaus wurden geschlagen, sexuell misshandelt und mussten bis ins erwachsenen Alter täglich mit schwersten Unterdrückungen ihre Kindheit verbringen.
Forschungsberichte der Psychologie belegen das diskfunktionale verhalten von Soldaten die im Krieg Trauma erlebten. Wieviel mehr Malfunktion kann man in dem Traumata eines Kindes finden das 24 Stunden, 7 Tage die Woche, und 365 Tage im Jahr und über Jahre hinweg dem Terror eines Traumas ausgesetzt ist. Die psychischen Folgeschäden sind eindeutig und wissenschaftlich belegbar und vor allem sichtbar für alle die emotional Wachsam sind und psychologische Kenntnisse haben. Um so trauriger ist die Tatsache, dass das Fundament der deutschen Gesellschaft aus zwei Generationen psychisch zerstörter, körperlich malträtierter Menschen besteht die als Kinder misshandelt wurden. Einige davon sogar medizinische Versuchskaninchen missbraucht wurden.
Gleichgültig mit welchem Eifer diese Entwürdigungen der menschlichen Würde wegparagrafiert werden sollen, die Fakten der tausenden die heute noch mit dem Kindheitstrauma leben sind unumstößlich. Zuerst erhielten diese keine psychologische Hilfe, und später wurden sie von der Gesellschaft und dem Gesetz erneut stigmatisiert. Heute finden wir diese Menschen in allen Lebenslagen und auch ihre auferzwungenen Einschränkungen die trotz aller Eigenbemühungen „normal“ zu sein, zu viele davon am Rand der Gesellschaft leben. Einige schafften es gerade so. Sie wurden nicht straffällig oder soziale Randläufer aber die Erinnerungen und die psychischen Dauerschäden und die folgeschweren Belastungen wurden sie niemals los. Die meisten Misshandelten lebten in völliger Verschwiegenheit. Sie erzählten weder ihren Lebenspartnern noch ihren Kindern von ihrem Kindheitshorror. Manche wanderten von Stadt zu Stadt oder flüchteten sich ins Ausland um nicht immer wieder and die vergangene Schande erinnert zu werden. Nur wenige von diesen Opfern hatten eine Chance auf ein Studium und eine daraus resultierende Position? Die meisten landeten als Hilfsarbeiter, Putzfrauen oder schafften es gerade noch mit einer Lehre.
Eine weitere Nebenwirkung dieser Kindesmisshandlungen, die Psycho-historisch belegbar ist, sind die vielen Misshandlungen von heute. Es ist für Fachleuten der Psychologie heute keine Frage, dass es immer der Erwachsene ist der als Kind misshandelt wurde, der den Imprint wiederholt und dadurch zum Misshandler wird. Es ist der Erwachsne der als Kind ohne Respekt aufwuchs, von dem man aber heute verlangt, dass er sich selbst und die Gesellschaft respektiert. Ein Oxymoron ist es die Autonomie eines Kindes zu zerstörten und später von dem mittlerweile Erwachsenen zu verlangen, dass diese(r) zum allgemeinem Wohlbefinden einer Gesellschaft beitragen könne.
Dieses begangene Unrecht wird heute indirekt von der Regierung unterstützt indem sie die Verjährungsfrist aufrecht erhält und hinter der sich alle Misshandler verstecken können. Für alle Missahndelten ist dies ein Schlag ins Gesicht, eine weitere Entwürdigung und gleichzeitig Zeuge einer fundamentalen Ungerechtigkeit in einem Staat, der in seiner jüngster Geschichte ein Gesetz erließ, dass alle Menschen gleich sind. Genau dieses Gesetz fand für mehrere hunderttausend hilflose Kinder in den Nachkriegsjahren keine Anwendung und heute aus diesem Grund als Spiegel der Gesellschaft und der Regierung als Anklage vorgelegt wird. Wie anders könnten die Misshandlungen von 500 000 Heimkindern erklärt werden, als die einer Wachsamkeitsverfehlung der Exekutive. Eine enorm hohe Zahl der Kinder nach 1945 erlebten psychische, körperliche, sexuelle Misshandungen, wurden medikamentiert und mussten unentgeltlich arbeiten, anstatt Sicherheit und Geborgenheit um mit einem Selbstwertgefühl und Würde zum Erwachsenen heranzuwachsen.
Vieler dieser Opfer stehen heute vor dem Rentenalter und müssen feststellen, dass für die Arbeitsjahre im Heimen keine Rententeile von den Heim-Dachorganisationen einbezahlt wurden. Andere können seit Jahren aufgrund des Kindheitstraumas nicht mehr arbeiten aber eine Frührente wird ihnen nicht gewährt. Dazu kommt, dass viel Akten verschunden sind und die Opfer keinerlei beweis erbringen können, dass sie in einem Heim waren oder dort Arbeiten mussten.
Wenn heute diese Misshandelten durch eine Petition ihr Recht fordern ist es die Pflicht des Staates dafür Sorge zu tragen, dass dieser Schandfleck von Unmenschlichkeit über Deutschland und dieses Versäumnis nicht durch eine Fall-Beerdigungs Strategie vom Tisch geschoben wird und die Betroffenen wieder mundtot gemacht werden.
Frau von Halem schreibt „Allerdings weiß ich aus meiner eigenen Kenntnis politischer Abläufe, dass Befassungen strukturiert werden müssen und Aussagen gebündelt, wenn sie überhaupt eine Chance in der Fülle der zu behandelnden Themen haben sollen.“
Es ist bedauerlich, dass ein langwieriger bürokratischer Ablauf dem Recht, das seit 1949 existiert, im Wege steht und dadurch viele Betroffene das Ergebnis nicht mehr erleben werden. Dazu kommt das flüstern aus politischen Kreisen „wer soll das Bezahlen“. Meine Antwort darauf ist „die Schuldigen“.
Um aber ein rechtliches Fundament zu schaffen ist es als aller erstes notwendig die Verjährungsfrist aufzuheben und die Schuldigen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Um aber allen Misshandelten gerecht zu werden und eine unbeeinflusste Chance über die erlebten Misshandlungen zu sprechen nötig.
Damit dieses Thema keine parteipolitische Färbung erhält wäre weise:
Mein Verständnis ist sehr groß für alle die nicht die Hand in diesen Misshandlungen hatten, und heute sich dem Thema aus politischen Positionen stellen müssen. Doch die, die Heimkinder in Ihren Firmen beschäftigten und Institutionen die von Kindersklaven profitiert haben werden keine Chance von den Misshandelten erhalten die Vergangenheit mit Erklärungen, mit fadenscheinigen resultatlosen Entschuldigungen zu ersticken.
Seit 1992 arbeite ich mit Misshandelten Weltweide und eröffnete EMaK in 2002 um den vielen Verzweifelten und entehrten Verletzen eine Stimme zu geben.
Diese Historische Menschenentwürdigenden 55 Jahre werden in die Geschichte eingehen, mit all den existierenden Dokumenten, wie die Geschundenen versuchten sich zu wehren, und wie die Regierung und die Exekutive, wie auch die Gesellschaft sich blind und taub stellte, oder sogar durch ihr hierarchisches Klassendenken dazu beitrug, dass unzählige Kinder kurz nach dem Nürnberger Nazi-Prozess, wieder misshandelt werden konnten.
Vielleicht ist es Ihnen möglich Ihre so sehr wichtige Stimme den Stimmenlosen zu leihen um das Jahrzehnte alte Unrecht wieder gut zu machen.
Mit freundlichem Gruß,
Sieglinde Alexander