Kommentar von Sieglinde Alexander an die Irish Times zum Artikel
„Deutschland stellt sich der Kinderversklavung in den Nachkriegsjahren“
Sehr geehrte Damen,
Sehr geehrte Herren,
mit Freude habe ich den Artikel “Deutschland stellt sich der Kinderversklavung in den Nachkriegsjahren“ gelesen. Bis jetzt ist die Irish Times die einzige Zeitung außerhalb Deutschlands, die über die Menschenrechtsverletzungen der Nachkriegszeit in Deutschland schrieb.
Die Heimkinder wurden nicht nur als Sklavenarbeiter benutzt, sondern erlitten auch unsäglichen Missbrauch. Wir, die Opfer dieser in Nazi-Hierarchien denkenden Gesellschaft, wurden auf Menschen zweiter Klasse reduziert, um als billige Arbeitskräfte das Wirtschaftswachstum zu unterstützen. Eine gute, angemessene oder selbst gewählte Ausbildung wurde den meisten dieser Heimkinder verwehrt. Zu oft wurde ihr Willen durch physische und psychische Gewalt sowie durch sexuellen Missbrauch gebrochen. Es ist bekannt, dass in diesen Einrichtungen viele dieser Kindheitsopfer mit Medikamenten ruhiggestellt wurden, um ihr instinktives Bedürfnis zu Leben zu Kontrollieren.
Jeden Tag wurden wir auf vielfache Weise daran erinnert, dass wir ungewollt und Außenseiter der Gesellschaft waren und mussten gehorchen, wenn wir unsere Essensration erhalten wollten. Es wurde jedoch erwartet, dass diese zerstörten Seelen verantwortliche erwachsene Steuerzahler werden und dieselbe Gesellschaft, die sie misshandelt hatte, unterstützen würden.
Einige dieser Kinder wurden ihren Müttern kurz nach der Geburt weggenommen, weil sie die Nachkommen einer unerwünschten Rasse waren. Andere Neugeborene und Babys wurden in Waisenhäuser gesteckt, weil sie das Ergebnis einer körperlichen Vereinigung mit dem Feind waren.
Während einige der Mütter die Erziehung ihrer Kinder allein auf sich nahmen, weil ihre Ehemänner zu den gefallenen Soldaten gehörten, heirateten manche wieder. Sie alle sahen sich in zunehmendem Maß dem Stigma ausgesetzt, als „asozial“ zu gelten; ein Begriff für Menschen, die nicht in das Bild der nun boomenden deutschen Gesellschaft passten.
Andere gründeten neue Familien mit demselben Denkmuster und derselben Geisteshaltung ihres geliebten Hitlers. Kinder wurden nicht aus Liebe geboren, sondern vielmehr um gehasst und benutzt zu werden. In der Nachkriegsära war Respekt einem Menschenleben – und insbesondere Kindern gegenüber immer noch geprägt von der hierarchischen Erziehung der Eltern. Diese gaben ihre erlernten Muster der Wertlosigkeit an ihre Kinder weiter. Diese Kinder wurden dann als Belästigung empfunden und endeten in öffentlichen Einrichtungen. Schon der kleinste Ungehorsam – etwa wenn sich ein Mädchen nach der Mode der Fünfzigerjahre kleidete – reichte aus, um die Eltern und Nachbarn zu verärgern. Die Folge war, dass sie weggesperrt wurden, um Anstand und Respekt zu erlernen. Was sie in diesen Institutionen aber tatsächlich lernten, war, wie wenig ein Menschenleben wert ist.
Einige dieser Kinder waren glücklich, der tagtäglichen Hölle zu Hause zu entkommen und glaubten, ihr Leben könne außerhalb ihrer Familie nicht schlimmer werden. Was sie dann aber im Namen der christlichen Nächstenliebe und unter dem wachsamen Auge des 1949 erlassenen neuen deutschen Gesetzes erlebten, drängte einige von ihnen an den Rand ihrer psychischen Existenz.
Heute leben viele dieser erwachsenen Missbrauchsopfer mit PTSD (Posttraumatic Stress Disorder bzw. PTBS posttraumatischer Belastungsstörung), Angst und Depressionen und sind unfähig zu arbeiten. In vielen Fällen können diese in Not lebenden Menschen keine Frührente beantragen, weil die Jahre der Sklavenarbeit in ihrer Sozialversicherung nicht auftauchen. Die verantwortlichen Organisationen und etablierte Unternehmen für die diese Kinder arbeiteten, zahlten nicht in deren Sozialversicherung ein, wie es das Gesetz verlangte. Heute fühlen sich die in ihrer Kindheit Versklavten erneut als Außenseiter der Gesellschaft, genau so wie sie es in ihrer Kindheit suggeriert bekamen.
Die deutsche Regierung entschuldigte sich nicht bei den Kindheitsopfern richtete aber einen Runden Tisch ein, um die Anklagen der in der Kindheit Missbrauchten zu untersuchen. Die verantwortlichen Organisationen erklärten kürzlich, dass es sich nicht um Kindersklaverei handelte, sondern vielmehr um therapeutische Notwendigkeiten. Ich hoffe, dass die Regierung die kirchlichen Einrichtungen nicht nur auf ihr unmenschliches Verhalten hin ansprechen wird, sondern auch darauf, wie sie es geschafft haben, bis heute zu soviel Reichtum zu kommen – wenn nicht durch die versklavten Unschuldigen.
Auf der anderen Seite suchen Historiker nach den Gründen, „warum“ solche Gräueltaten unter dem wachsamen Auge der damals neu gebildeten demokratischen Regierung geschehen konnten. Während die evangelische Kirche mit Scham die Leiden erwähnt, die sie den unschuldigen Kindern angetan hat, weigert sich die katholische Kirche bis zuletzt, falsches Verhalten zuzugeben. Dieselben verantwortlichen Organisationen sitzen nun am Runden Tisch, und viele Opfer befürchten, dass der Schaden, für den die Täterorganisationen verantwortlich gemacht werden könnten, „kontrolliert“ werden soll.
Nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der Heimkinder ist in der Lage, auf ihr lebenslanges Leiden aufmerksam zu machen. Manche von ihnen haben sich entweder in depressives oder schamvollen Schweigen gehüllt oder versuchen sogar, in den Jahren des Missbrauchs noch etwas Gutes zu finden. Nur sehr wenige waren fähig über ihre Erinnerungen zu schreiben, weil sie sich später nicht weiterbilden konnten, um das fehlende Wissen zu ergänzen.
Irgendwie habe ich den Eindruck, dass das, was die heute Erwachsenen in ihrer Kindheit erfahren haben, nicht ausreichend gewürdigt wird, und dass die Langzeiteffekte des Kindesmissbrauch nicht anerkannt wird. Es gab sogar schon einen offiziellen Versuch der Politikerin Ursula von der Leyen, den Runden Tisch zu stoppen. Deshalb wäre es unklug, wenn die ehemaligen Heim-Opfer mit einer hohen Entschädigung, wie es Irland z. B. ausbezahlt hat, zu rechnen. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass die deutsche Regierung nur zu einem finanziell niedrigen Abkommen bereit ist. Dadurch aber, werden die Kindheits-Opfer wieder in dem Außenseiter Käfig abgeschoben, den die Gesellschaft schon vor über 70 Jahren für sie geschaffen hat.
Sieglinde W. Alexander,
Adults Abused as Children Worldwide
Erwachsene Misshandelt als Kinder
Haunting Shadows from the Past https://sieglindewalexander.com/