Kommentar von Sieglinde Alexander
Rede im Bayerischen Landtag anlässlich meiner Petition vom 24.11.2010
Meine Rede wurde per Email an den Bayerischen Landtag geschickt, da ich nicht eingeladen wurde.
Liebe ehem. Heimkinder,
sehr geehrte Frau Meyer, sehr geehrte Frau Stamm,
sehr geehrte Mitglieder des Bayerischen Landtags, sehr geehrte Damen und Herren,
mein Anliegen war und ist, dass die rigide Heimerziehung der 50er und 60er Jahre auch in Bayern öffentlich gemacht und vor allem aber auch aufgearbeitet wird. Die Landesregierung, sowie auch die Bevölkerung Bayerns sollten aus dem Munde von Betroffenen hören, was diesen in den Heimen Bayerns in der Nachkriegszeit, angetan wurde. Die Heimerziehung in den ersten Jahrzehnten nach der NS Zeit in Bayern muss auf den Tisch, sie muss lückenlos aufgearbeitet werden.
Am RTH in Berlin, sagte man, in Bayern gehen die Uhren anders herum, die Politik würde sich in der Heimkinderdebatte sehr zurückhalten.
Ich wollte das durch eine Petition ändern, die ich im Nov. 2010 im Bayr. Landtag eingab.
Zunächst möchte ich mich bei Frau Meyer, der Vorsitzenden des sozial-politischen Ausschusses und dessen Mitgliedern bedanken, dass sie die Petition angenommen haben und bereit waren, diese umzusetzen.
Danken möchte ich auch den Landtagsabgeordneten, die eine Anhörung im Landtag unterstützten.
Auch Frau Johanna Huber, die schon im vergangenen Jahr eine große Empathie für die ehem. Heimkinder signalisierte, möchte ich ebenfalls danken, ich schätz ihr Engagement. Sie wollte mit ihrem Team im Sozialministerium eine „gute Anlaufstelle“ in Bayern auf den Weg bringen, was nun auch mit dem Mitarbeiter des Landesjugendamtes und nun Leiter der Anlaufstelle in Bayern, Herrn Rösler, umgesetzt wurde.
In der Tat, man weiß heute nicht viel, über das, was damals geschah. Ich habe eine Heimliste aus dem Jahre 1964 vorgelegt, damit man sich ein Bild von dem machen konnte, wie es tatsächlich in Bayern aussah. Es waren ca. 25 000 Kinder und Jugendliche in ca. 220 Heimen untergebracht.
Es gab viele Heime, die meistens waren in „Freier Trägerschaft“, also unter der „Fuchtel“ der kath. Kirche, sowie der Diakonie, bzw. der Inneren Mission.
Die staatlichen Heime, z.B. das Landeserziehungsheim Lichtenau, in München und andere, die vergleichbar sind mit Freistatt und Glückstadt. In den Mädchen- und Kinderheimen herrschte genauso Zerstörung und Gewalt. Selbst Säuglinge wurden durch Lieblosigkeit und Vernachlässigung fürs ganze Leben geschädigt (Hospitalismus u.a.)
Bis heute wurden die Kinder- und Jugendlichen, die in Jugend- und Kinderpsychiatrien schlimmstens gequält wurden, nicht berücksichtigt. Sie kamen von den Kinderheimen dorthin, weil sie Bettnässer oder hyperaktiv waren. Medikamente wurden an Kinder getestet, oder sie wurden Zwangsmedikamentiert. Es gab nur Zwänge und unter Zwängen werden Menschen zerstört. Die Zwangsmissionierung hat bewirkt, dass sich ehem. Heimkinder von den Kirchen abgewandt haben, mit Religion verbinden wir Demütigung, Gewalt, sexueller Missbrauch und Ausbeutung.
Eine Anhörung der ehem. Heimkinder, denen großes Unrecht in bayerischen Heimen zugefügt wurde, sollte den Politikern in Bayern einmal klar machen, wie Staat und Kirchen, Kinder und Jugendliche systematisch zerstörten. Sie wurden misshandelt, sexuell missbraucht, gedemütigt, sie mussten Zwangsarbeit leisten, sie wurden isoliert und der Gesellschaft entfremdet, so dass sie nach ihrer Entlassung nur schwer oder überhaupt nicht Fuß fassen konnten im Leben draußen, in der sogenannten „Freiheit“.
An den Folgeschäden, unter denen die Betroffenen heute noch leiden, können Sie die Dimension dieser Heimerziehung sehen. Es waren Menschenrechtsverletzungen!
Eine Anhörung sollte die „Wahrheit“ der Heimerziehung in Bayern ans Licht bringen, 40 oder 50 Jahre schwiegen die ehem. Diese Gelegenheit hatten die Heimkinder beim RTH nicht. Heimkinder, das Trauma ließ es nicht zu, dass sie über das erlebte sprechen. Die Politik und die Kirchen haben in der Vergangenheit diese menschenverachtende Behandlungen vertuscht und darüber eine Decke des Schweigens gelegt.
Was in den grausamen Schilderungen der Heimkinder beim ersten Blick nicht erkannt wird, sind die Dauerschäden Einzelner und der versteckte Gesamtschaden eines Landes.
Die Vergehen an den Heimkindern haben menschliche und sozialpolitische Folgen, die bislang nur am Rande, wenn überhaupt, beachtet wurden.
Das erlittene Leid hinterließ nicht nur psychische Schäden, die aus Unkenntnis, Gleichgültigkeit oder auch nur durch hierarchisches Denken nicht beachtete werden oder keinen Platz im Budget finden.
Dazu kommt, dass die Psychologie nicht die weltweiten wissenschaftlichen Erkenntnisse implementieren, (Gen-Veränderungen durch Gewalteinfluss und die daraus resultierenden psychischen, körperlichen und permanent organischen Schäden), sondern den vorhandenen Schmerz noch immer kontrollieren anstatt auf Heilung des Traumas zusteuern.
Der lebenslange soziale Schaden der Betroffenen wurde nie im Detail angesprochen.
Viele dieser Menschen hatten nie eine Chance, ihr Leben frei zu gestalten.
Identitäten wurden durch Gewalt und Misshandlung zerstört. Viele dieser Opfer der Heimerziehung leben heute am Existenzminimum, weil ihre Persönlichkeit nicht gefördert weiter bildende Möglichkeiten verweigert wurden, wodurch sich deren Lebensweg unter Zwang veränderte.
Wenn das Gesamtbild der Misshandlungen der ehem. Heimkinder aus finanzpolitischer Sicht gesehen wird, müsste erkannt werden, dass nur die Trägerorganisationen als Profiteure aus den vergangenen Menschenrechtsverletzungen, hervorgingen.
Viele der Heimopfer sind heute auf soziale Unterstützung abgewiesen. Sie sind krank und Krankenkassen zahlen aufwendige Anwendungen.
Der Kreis schließt sich hier, indem die Gesellschaft und Politik, die die Misshandlungen an den schutzbedürftigen Kindern nicht verhinderten, heute für diese psychologischen und medizinischen Schäden.
Heute, als Opfer, stehen wir noch einmal vor der Frage der Achtung des Menschen.
Es gibt eine „Verantwortungskette“, das heißt, dass sich alle damals Beteiligten schuldig gemacht haben, an ca. 800 000 Kindern und Jugendlichen. Der Staat, bzw. das Land, die Jugendämter, die Vormünder, die Heimaufsichten u.s.w verletzten ihre Aufsichtspflichten aufs gröbste. Die Kinder waren hilflos in konfessionellen und staatlichen Heimen der Willkür der Erzieherinnen und Erzieher ausgeliefert.
Man wusste genau, was in den Heimen geschah, man verschloss die Augen davor und sah weg, letztendlich profitierten man ja von den Kindern in den Fängen der Jugendämter.
Schon 1969 hat „Der Spiegel“ auf das Unrecht in der Heimerziehung aufmerksam gemacht(Spiegelarchiv).
Andere, Wissenschaftler, Sozialpädagogen und auch Herr Prof. Kappeler, waren kritische Gegner dieser menschenverachtenden Heimerziehung. Die Hinweise und Warnungen dieser Menschen stießen auf taube Ohren in Politik und bei den Kirchen.
Während der NS Zeit peinigte man die Zwangsarbeiter aus dem Osten u.s.w, danach, in der BRD aber brauchte man neues „Arbeits-Material“, das eingesetzt werden konnte.
Man verwendete diese Kinder. Sie waren wertlos, hatten keine Rechte, aber man erlegte ihnen viele Pflichten auf, unter dieser Bürde die Kinder schließlich zerbrachen.
Kinder waren ein Mittel zum Zweck, sie wurden von den Jugendämtern, ohne dass diese auch nur einen Moment zögerten, in die Heime gesteckt, es wurde ja immer Nachschub an Arbeitsmaterial gebraucht. Diese Kinder und Jugendlichen gab es „umsonst“, sie bekamen keinen Lohn, wurden zur Arbeit gezwungen, ausgebeutet, das nennt man „Zwangsarbeit“, so steht es im Grundgesetz! Es gab natürlich verschiedene Wege ins Heim, aber diese gingen immer über die Jugendämter.
Der RTH lehnte diesen Begriff Arbeitsmaterial ab, er beziehe sich ja schließlich auf die NS Zwangsarbeiter, er treffe auf die „erzwungene“ Arbeit in den Heimen nicht zu. Was für eine Ironie.
Ein Hilfsfonds von 120 Mill. €, abzüglich der 10%, die sich die Länder, nachdem sie erst in den Fonds einzahlten, wieder nahmen, für die Anlaufstellen, kann den Heimkinder niemals gerecht werden. Damit werden Heimkinder schon wieder „betrogen“.
Mit 120 Mill. Euro, bzw. 108 Millionen Euro, kann man den schwarzen Fleck „Heimerziehung“ in der Deutschen Nachkrieggeschichte nicht weiß waschen, dazu gehört mehr.
In bayrischen Heimen wurden Kinder genauso misshandelt und zerstört wie überall in der BRD.
Kinder zu quälen, sie zur Arbeit zwingen, selbst kleine Kinder mussten schwer arbeiten, sie wurden u.a. an Bauern ausgeliehen, mussten Sklavenarbeit auf den Feldern leisten, oft ohne Schuhe an den Füßen, der Hunger quälte sie, kassiert und profitiert haben die Freien Heimträger und das Land. Alle Heimträger haben Profite gemacht, Eltern mussten für die Unterbringung der Kinder in den meisten Fällen zahlen, die Jugendämter zahlten und es wurden von den Kindern Profite erwirtschaftet. Kindern und Jugendlichen wurde eine Schulbildung verweigert, damit die Heimträger sich die Taschen voll machen konnten.
Das Land hat profitiert davon, dass die Heime oft „Selbstversorger“ waren. Die Kinder haben für ihren Aufenthalt im Heim oft selbst bezahlt!
Und das ist in Bayern passiert, vor Ihrer Haustüre.
Jeder wusste, was in den Heimen geschah. Die Aussage“ wenn Du nicht parierst kommst ins Heim“ hing über vielen der Kinder und Jugendlichen wie ein Damokles Schwert.
Das Thema „Heimerziehung“ in der Nachkriegszeit wurde ganz bewusst vernachlässigt. Die einzelnen Heimkinder, die diese Sache öffentlich machen wollten, wollte man nicht hören. Das waren unbequeme und ein Störfaktoren in der BRD.
Dabei handelt es sich um ein Unrecht von ungeheurem Ausmaß.
Kinder wurden systematisch zerstört in einem postfaschistischen System das noch immer blinden gehorsam verlangte ohne die Bedürfnisse von Kindern zu beachten.
Es gab doch ein Grundgesetz, das für Alle gelten sollte, doch für die Kinder, die unter „Fürsorgeerziehung“ standen, hatte diese keine Gültigkeit. Artikel 1 im GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ hatte für uns keine Relevanz.
Es waren Menschenrechtsverletzungen, was man den Kindern in staatlicher Obhut angetan hatte.
Die Gleichgültigkeit eines ganzen Landes haben wir es zu verdanken, dass die ehem. Heimkinder noch heute unter dem Stigma „Heimerziehung“ leiden.
Wir wurden bis heute weder „Entstigmatisiert“ noch „Rehabilitiert“ in dieser Gesellschaft.
Die Heimkinder sind gebrandmarkt, bis heute und so fühlen sie sich auch, weil eigentlich keiner etwas für sie tut.
Deswegen verlange ich, dass man auf die Menschen zugeht, sie unterstütz, in ihren Nöten und Bedürfnissen.
Die Heimerziehung der 50er und 60er Jahre in Bayern muss aufgearbeitet werden.
Deswegen darf und kann die heutige Anhörung nicht eine einmalige Sache sein.
Ein Prozess muss in Gang kommen, an dem das Land Bayern, die Kirchen, Jugendämter, Heimaufsichten, Erzieher, natürlich ehem. Heimkinder, beteiligt werden sollten.
Es muss ein Gesprächsforum oder ein Runder oder Eckiger Tisch eingerichtet werden, in dem alle Fakten auf den Tisch kommen.
Es geht nicht allein um die Aufarbeitung der Heimerziehung der 50er und 60er Jahre, es geht auch um Prävention!
Nur wenn die Misshandlungen in der Heimerziehung wahrhaftig aufgearbeitet wird, können Kinder in Zukunft geschützt und vor Unrecht bewahrt werden.
Kinder sind das größte Gut eines Landes, sie müssen geschützt werden und das geschieht heute lange noch nicht genügend.
Wenn wir, die Gesellschaft und Politiker, diese Kindesmissachtungen in Zukunft verhindern wollen, müssen wir zuerst verstehen, was die Folgeschäden solcher Missachtungen sind und die daraus entstandenen Schäden die im vollen Umfang gesetzlich anerkennt werden müssen.
Nur wenn das Ausmaß einer Zerstörung erkannt ist können wir verhindern, dass Gleiches noch einmal geschieht.
Der nächste Schritt wäre ein Bekenntnis seitens der Regierung zum Thema: Verfehlungen der Aufsichtspflicht bei Misshandlungen in der Vergangenheit“ – Rehabilitation der Geschändeten
eine gesetzlich verankerte Anerkennung.
Die Rechte und die Würde aller Menschen auch die der Kinder muss in einem demokratischen Staat an erster Stelle stehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.